Ringlein, Ringlein, du musst wandern…
Im Auge des Sturms
„Die Liebe ist ein schöner Engel, aber oft ein schöner Todesengel für das gläubige, betrogene Herz.“
Adalbert Stifter
Die erhoffte Antwort blieb aus. Fanny hatte sich nun endgültig gegen ihn und eine gemeinsame Zukunft entschieden. Damit lag auch meine Traumwelt in Scherben. Was würde nun aus mir werden? Jetzt, da mein Freund seine große Liebe und die Chance auf ein gemeinsames Leben verloren hatte?
Adalbert sah Fanny zwar noch ein letztes Mal bei der Hochzeit eines Studienfreundes in Friedberg, aber bereits kurz darauf, am 18. Oktober 1836, heiratete sie Josef Fleischhandel, einen Kammersekretär aus Wels. Auch Adalbert entschloss sich daraufhin zu heiraten und vermählte sich mit Amalia Mohaupt, einer Näherin aus Wien. Wenn du jetzt vielleicht denkst, dass mit der Hochzeit meines Freundes auch endlich mein Tag gekommen war, muss ich dich enttäuschen. Statt an der Hand einer jungen Frau zu funkeln, lag ich vergessen oder – getreu dem Sprichwort „aus den Augen, aus dem Sinn“ – gar verbannt erneut in Adalberts Nachttischschublade, und war meinem großen Traum damit so fern wie nie zuvor.
Amalia Stifter, geb. Mohaupt.
Quelle (Bild): Wikipedia. Von gerhard.anzinger@utanet.at - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4111084.
Adalbert sagte einmal, dass er seine Ehe selbst als sehr glücklich beschreiben würde.
Ich weiß es jedoch besser: Mehr oder weniger heimlich schrieb Adalbert weiterhin Briefe an Fanny, in der er ihr sein Leid klagte. Scheinbar konnte oder wollte er sie trotz allem nicht vergessen. Das entfachte in mir, trotz der scheinbar aussichtslosen Situation, wieder einen Funken Hoffnung. Würde vielleicht doch noch alles gut werden?
An Fanny Greipl. Oberplan, 20. August 1835.
Quelle (Literatur): Adalbert Stifter, Briefe. Tübingen/Stuttgart, 1947, S. 38-40.
Auch wenn Adalbert offensichtlich weiterhin an der gemeinsam verbrachten Zeit und der einmal füreinander empfundenen Liebe festzuhalten versuchte, blieben all seine letzten Briefe an Fanny unbeantwortet.
Wenig später fand ihre gemeinsame Geschichte ein äußerst tragisches Ende. Bei der Erinnerung daran stiehlt sich auch heute noch so manche Träne in meinen Augenwinkel: Nur drei Jahre nach Fannys Hochzeit mit Josef – 1839 muss es wohl gewesen sein – starb diese bei der Geburt ihres ersten Kindes zusammen mit ihrem Kind. Diesen Schicksalsschlag musste nicht nur ihr Ehemann, sondern mussten auch Adalbert und ich erst einmal verkraften. Vor allem für Adalbert bedeutete Fannys Tod, dass er nun endlich loslassen und wieder frei werden musste – frei von all dem Schmerz und der Traurigkeit, die diese letztlich unerwiderte Jugendliebe in seinem Herzen hinterlassen hatte.
Und tatsächlich schien es so – man mag es nach all den Jahren kaum glauben –, als ob Adalbert sich und sein Herz für Amalia zu öffnen begann. Je mehr Zeit sie miteinander verbrachten, desto vertrauter wurden sie sich. Auch wenn ihr Eheleben vielleicht nicht das leidenschaftlichste war, entdeckten sie doch ihre gemeinsame Hingabe für gutes Essen und das ein oder andere Gläschen Wein am Abend.
So begann Adalbert auch Amalia Liebesbriefe zu schreiben, wie er sie bereits zuvor Fanny geschrieben hatte...
An Amalia Stifter. Wien, 21. August 1841.
Quelle (Literatur): Adalbert Stifter, Briefe. Tübingen/Stuttgart, 1947, S. 72.
Selbst wenn es wahr sein und Amalia nun einen Platz in Adalberts Herzen gefunden hatte, vermag ich nicht zu sagen, wie glücklich er wirklich war. Fest steht jedoch, dass er seine erste große Liebe auch Jahre nach Fannys Tod noch immer nicht vergessen konnte.