An Jaroslav Seiferts Grab - Niemand kann seinem Schatten entkommen

Die zerbrochene Feder – Das Leben des Dichters Jan Skácel
An Jaroslav Seiferts Grab - Niemand kann seinem Schatten entkommen

Tägliche Tortur

Eines Tages brachte Skácel Reiner Kunze ein Foto, aufgenommen am Grab von Seifert, während er dessen Grabrede hielt. Und er zeigte mit dem Finger auf den Mann links hinter dem Baum und sagte: „Schau mal. Das war der, der mich beobachtet hat!“

Dieses kleine Detail beweist schon, dass Skácel 1986 immer noch beobachtet wurde.  

Skácels hält die Grabrede für Jaroslav Seifert

Ton-Quelle: tonarchiv.de

Bildrecht: cc Stiftung Zuhören

Was es tatsächlich bedeutete, in einem politischen System wie der UdSSR verfolgt, unterdrückt und verboten zu sein, wurde Reiner Kunze 1980 erneut erschreckend vor Augen geführt. Ihn besuchten zwei tschechische Germanistikstudenten, die im Rahmen ihres Studiums deutsche Autoren aufsuchten. Erfreut, ausgewählt worden zu sein und gerade jungen Menschen aus Tschechien gegenüber zu stehen, brachte Kunze das Gespräch auch auf seinen Freund Jan Skácel. Doch die Studenten schauten ihn nur verständnislos an:

„Wer?“, fragten sie erstaunt.

„Na, Jan Skácel!“, wiederholte Kunze mit Nachdruck und in der festen   Überzeugung, sie müssten von diesem einmaligen und berühmten  Dichter ihres Landes schon einmal gehört haben.

Doch nein! Einen Lyriker dieses Namens gab es für sie nicht.

Es zeigt sich, dass das Ostregime mühelos Personen und zwar sogar Menschen, die im eigenen Land als große Dichter bekannt waren, „durch Verschweigen mit Graberde bedecken konnte, obwohl sie noch lebten“ (Reiner Kunze).

Kamera: Lillian Joffroy, Salome Sommer, Anja Richter

Ton: Lillian Joffroy, Salome Sommer, Anja Richter

Video 1: Schnitt: Lillian Joffroy, Fritz Pflugbeil

Video 1: Aftereffects: Fritz Pflugbeil

Video 2: Schnitt: Anja Richter

Text: Anja Richter